15.12.2020
Die Umsetzung der EbAV-II-Richtlinie im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) erfolgte zum 13. Januar 2019 und umfasst zahlreiche Bereiche. Nach langem Warten wurden im Dezember 2020 die beiden Rundschreiben zur Geschäftsorganisation und zur eigenen Risikobeurteilung von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) veröffentlicht:
Es erfasst dabei die entsprechenden Themen aus der schon länger nicht mehr gültigen MaRisk VA aus dem Jahre 2009:
Proportionalitätsprinzip
Bei der Frage, wie die jeweiligen Anforderungen des Rundschreibens zu erfüllen sind, ist insbesondere das Prinzip der Proportionalität von Bedeutung. Die Größe und die interne Organisation der EbAV können gemäß der MaGo nun ebenfalls als Indikatoren für die sachgerechte Umsetzung der Regelungen in dem Rundschreiben berücksichtigt werden, was für die Anwendung bei den EbAV sehr hilfreich ist. Dies bedeutet allerdings nur, dass die einzelnen Anforderungen entsprechend der Größenordnung, der Art, dem Umfang und der Komplexität der Geschäftstätigkeit angemessen umgesetzt werden müssen, aber nicht ignoriert werden dürfen. Damit haben die EbAV bei der Umsetzung gewisse Freiheitsgrade, die aber einer nachträglichen Überprüfung standhalten müssen.
Wesentlichkeitskonzept
Ein Kernelement für das Risikomanagement einer EbAV ist die Identifikation von möglichen Risiken und deren Steuerung und Überwachung. Dabei ist es sinnvoll, sich auf die wesentlichen Risiken zu konzentrieren. Die Wesentlichkeitsgrenzen sind anhand geeigneter und nachvollziehbarer Kriterien zu bestimmen und betreffen u. a. auch die Risikokategorien Marktrisiko, Kreditrisiko, versicherungstechnisches Risiko, Liquiditätsrisiko und operationelles Risiko.
Schlüsselfunktionen
Auch die EbAV haben nun, analog zu den Versicherungsunternehmen in der Solvency-II Welt, bestimmte Schlüsselfunktionen zwingend einzurichten:
Wirklich neu für die EbAV ist allerdings nur die Funktion der VMF, da die URCF gemäß dem Rundschreiben synonym für die schon vorhandene Risikomanagementfunktion steht. Die Aufgaben der VMF umfassen u. a.:
Die Aufgaben des Verantwortlichen Aktuars (VA) gehen deutlich über die eigentliche Rückstellungsbildung hinaus:
Neben der Aufgabentrennung ergibt sich die Frage, wer denn in den EbAV die Rolle der Schlüsselfunktion oder bei einer Ausgliederung die Rolle des Ausgliederungsbeauftragten einnimmt. Denn unter den EbAV gibt es im Gegensatz zu den Lebensversicherungen eine Vielzahl von Konstellationen, die in über hundert Jahren im Umfeld der bAV gewachsen sind. Es gibt EbAV, die bis auf den Vorstand kein eigenes Personal haben, da dieses komplett beim Trägerunternehmen angesiedelt ist. Manche EbAV mit eigenem Personal haben aber nicht genügend bzw. nicht ausreichend qualifiziertes Personal für die Schlüsselfunktionen. Hier gibt es zahlreiche EbAV, die nicht mehr als 10 – 30 Mitarbeiter haben.
Insbesondere kann, sofern keine Interessenkonflikte bestehen, der Verantwortliche Aktuar auch die Aufgaben der Versicherungsmathematischen Funktion (VMF) übernehmen.
Ausgliederungen
In der MaGo wird das Thema Ausgliederung sehr ausführlich behandelt und die Regelungen aus dem VAG erläutert und weiterführend ergänzt. Abhängig davon, welche Tätigkeit ausgegliedert wird, ergeben sich verschiedene Anforderungen an die Dokumentation, Steuerung und Überwachung sowie die Berichtspflichten. Auch hier zeigt sich wieder der sehr deutlich steigende Aufwand für die EbAV. Um die entsprechenden Anforderungen an eine Ausgliederung zu identifizieren, müssen mehrere Prüfschritte durchlaufen werden.
Was bringt die MaGo?
Durch die MaGo wird eine systematische Abarbeitung der gesetzlichen Anforderungen ermöglicht. Allerdings hat dies auch seine Kehrseite: durch die umfassenden Anforderungen an die Dokumentation, an die Prozesse und an die Umsetzung sind deutliche Personalressourcen und ggf. auch weitere Investitionen notwendig. Ob dies bei den EbAV, die keine großen Versicherungsgesellschaften und oftmals sogar im Trägerunternehmen eingebettet sind, immer sinnvoll ist, darf bezweifelt werden.
Die eigene Risikobeurteilung
Die eigene Risikobeurteilung (ERB) im Sinne des § 234d VAG ist in gewissem Sinne der vorläufige Höhepunkt des europäischen und nationalen Gesetzgebers in seinem Bemühen, das Risikomanagement von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung auszubauen und zu formalisieren. Spätestens seit den Finanzkrisen 2002/2003 und 2008/2009 mit der sich daran anschließenden Niedrig- bzw. Nullzinsphase gerät das Risikomanagement immer stärker in den Fokus aufsichtsrechtlicher Reglementierung und aufsichtsbehördlichen Handelns. Selbstverständlich hat es auch davor, im Grunde schon immer, Risikomanagement gegeben.
Die ERB löst das bestehende Risikomanagement nicht ab, sondern ergänzt es. Sie ist Bestandteil des Risikomanagementsystems von Pensionskassen und Pensionsfonds. Die ERB grenzt sich dabei insbesondere zeitlich von dem sonstigen Risikomanagement ab. Sie ist mindestens alle drei Jahre durchzuführen oder wenn sich wesentliche Änderungen im Risikoprofil der EbAV oder des von ihr betriebenen Altersversorgungssystems ergeben. Demgegenüber ist das Risikomanagementsystem ein stetiger Prozess und zeitlich nicht abgrenzbar.
Die wesentlichen Ziele der ERB lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Mit dem letzten Ziel findet das Pariser Klimaabkommen, das bekanntlich auch das Ziel verfolgt, die Finanzströme in Übereinstimmung mit den Klimazielen zu bringen, indirekt Eingang in die ERB.
Auch an den ERB-Bericht, wohl das Kernstück des gesamten Prozesses, stellt die Aufsichtsbehörde keine allzu hohen Anforderungen an deren Umfang. So können, ein entsprechend schwach ausgeprägtes Profil der EbAV vorausgesetzt, bereits „wenige Seiten“ ausreichend sein. [1] Die Struktur des ERB-Berichtes soll sich dabei an der Struktur von Absatz 2 des § 234d orientieren. Dies ist hilfreich und sinnvoll und dürfte die Strukturierung erleichtern.
Der ERB-Bericht kann Bezug nehmen auf weitere Dokumente, muss dabei aber aus sich heraus verständlich und in sich abgeschlossen sein. Der Leser des ERB-Berichtes soll keine weiteren Dokumente zur Hand nehmen müssen, sondern allein auf Grundlage des ERB-Berichts über alle wesentlichen Ergebnisse der ERB informiert werden. Der Adressat des ERB-Berichtes ist explizit der Vorstand der EbAV. Dem Aufsichtsrat hingegen ist er nicht zwingend vorzulegen, gleichwohl ist über die wesentlichen Ergebnisse zu informieren.
Einer der Kernpunkte ist die Beurteilung des „gesamten Finanzierungsbedarfs“ der EbAV. Hierunter sind die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Bedeckung der technischen Passiva, die Kapitalausstattung und die Risikotragfähigkeit zu verstehen. Der Finanzierungsbedarf ist insbesondere mit Blick auf die Zukunft und unter Berücksichtigung von Risiken einzuschätzen.
Zu begrüßen ist, dass in den Rundschreiben bereits bestehende aufsichtsrechtliche oder unternehmensbezogene Methoden, Verfahren und Berichte die Basis für die Beurteilung des Finanzbedarfs sein können. Namentlich genannt werden die bewährten Instrumente des Stresstests, der Prognoserechnung, des versicherungsmathematischen Gutachtens, der Erläuterungsberichte des Verantwortlichen Aktuars, das Aktiv-Passiv-Management und ähnliches. [2]
Die ERB, und mit ihr das Rundschreiben, stellen interessanterweise auch auf eine Beurteilung der Trägerunternehmen der EbAV ab. Dieses Thema entspringt der Anforderung aus § 234d Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 VAG, nachdem eine qualitative Beurteilung von Schutzmechanismen vorzunehmen ist, die auf „Garantien, bindenden Verpflichtungen oder finanziellen Unterstützung jeglicher anderer Art durch das Trägerunternehmen“ beruhen. Es geht also insbesondere um die Fragestellung, ob die Trägerunternehmen bereit und in der Lage sind, der EbAV zusätzliche Mittel zu Verfügung zu stellen. Die EbAV haben also in gewissem Sinne ihre Trägerunternehmen auf deren Bonität und Zahlungsbereitschaft hin zu untersuchen. Dabei dürfen sich die EbAV auf öffentlich zugängliche Quelle beschränken und müssen auch nur einen vertretbaren Aufwand hierauf verwenden. Diese Anforderung dürfte in der Praxis dennoch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein. Selbst wenn man unterstellt, dass Ein-Firmen- oder Konzern-EbAV noch einen vergleichsweise guten Zugang zu ihren Trägerunternehmen haben, dürfte deren Bereitschaft, Informationen über ihre Bonität und Zahlungsbereitschaft zu geben, häufig genug eher gering ausfallen. Bei überbetrieblich tätigen EbAV mit bis in die Tausende gehender Anzahl an Trägern, erscheint dies als eine nahezu unlösbare Aufgabe. Selbst die zugestandene Beschränkung auf statistische Kennzahlen oder allgemeinverbindliche Tarifverträge der jeweiligen Branchen, dürfte mit einem Aufwand verbunden sein, der kaum zu leisten ist und eher wenig belastbare Ergebnisse zutage bringen kann.
Da bisher noch keine praktischen Erfahrungen mit der eigenen Risikobeurteilung vorliegen, ist es naturgemäß schwierig, ein erstes Fazit zu ziehen. Es erscheint jedoch zumindest fraglich, ob Aufwand und Nutzen der ERB in einem günstigen Verhältnis stehen. Der Aufwand dürfte sicherlich recht hoch einzuschätzen sein. Der zusätzliche Erkenntnisgewinn dagegen eher überschaubar. Der ERB-Bericht wird zu großen Teilen wohl eine Zusammenfassung bereits anderweitiger Reports, Analysen und Auswertungen sein. Auch die Methoden der Gewinnung der Ergebnisse der ERB sind die bereits etablierten und bewährten. Schließlich ist der dreijährige Turnus kaum geeignet, das regelmäßige Risikomanagementsystem zu unterstützen. Lediglich seine Funktion als Entscheidungsgrundlage für zukünftige strategische Weichenstellungen kann als Verbesserung gelten. Es bleibt also abzuwarten, ob sich die eigene Risikobeurteilung bewährt oder als als weitere formal-regulatorische Anforderung eingeordnet werden muss.
[1] R 9/2020, Rn. 25
[2] R 9/2020, Rn. 76